Bern: Wieder einmal gegen die Sozialhilfe

24.06.2016

Sparmassnahmen sind hoch im Trend. In Bern soll nun die Sozialhilfe daran glauben. Angesichts der dritten Unternehmenssteuerreform und einer neuen Runde Sparmassnahmen, die voraussichtlich bald bekannt wird, sollten wir die Augen offen halten. Ein Kampf gegen die Angriffe auf die Sozialhilfe zeichnet sich bereits ab, aber der wirkliche Kampf muss erst noch geführt werden.
Der Kanton Bern soll eine Vorreiterrolle in der Schweiz spielen. Mit dem erneuten Angriff auf die Sozialhilfe wird ein weiteres Kapitel des Sozialabbaus eröffnet. Nur kurz nachdem die Bürgerlichen bereits in der ganzen Schweiz eine Verschärfung erzwingen konnten, wollen die bernischen Vertreter des Bürgertums noch weiter gehen. Von verschiedenen Seiten ertönt nun Kritik; doch wie erfolgreich der Abwehrkampf gegen diese Sparmassnahme tatsächlich ablaufen wird, muss sich erst noch zeigen.
Geringste Sozialhilfe der Schweiz
Der letzte Streich ist durch die SKOS erfolgt. Die „Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe“ besteht aus verschiedenen privaten Organisationen und Vertretern von Kantonen, Gemeinden und Bund. Mangels eines nationalen Sozialhilfegesetzes legt sie unverbindliche Richtlinien für die Ausgestaltung der Sozialhilfe fest. Und ebendiese Richtlinien, an die sich viele Gemeinden halten, wurden auf Start 2016 aufgrund vielfältigen Drucks verschärft. Die Änderung beinhaltet zum Beispiel mehr Sanktionsmöglichkeiten sowie tiefere Ansätze für Junge. Diese Verschärfungen hat der Kanton Bern bereits übernommen. Gleichzeitig zahlt Bern bereits jetzt weniger Geld aus, als in den Richtlinien empfohlen: 977 Franken statt 986.
Doch nun ist geplant, dass der Kanton noch tiefer gehen soll. Sollte der neue Vorschlag angenommen werden, hätte der Kanton Bern die niedrigste Sozialhilfe der Schweiz. Menschen, die neu Sozialhilfe benötigen, sollen für die ersten drei bis sechs Monate mit einem um 15 % reduzierten Betrag leben müssen. Diese 150 Franken im Monat sollen vorenthalten werden um zu prüfen, ob die Mitwirkungspflichten erfüllt sind. Zwar sollen einige Ausnahmen gelten, wie etwa für Alte oder Alleinerziehende, aber wir sprechen trotzdem noch von einigen tausend Personen im Jahr.
Wie wenig man sich von diesen 830 Franken im Monat als Einzelperson noch leisten kann, wird etwa hier anschaulich aufgelistet. Weiter sollen vorläufig aufgenommene Ausländer – also Geflüchtete, die zwar kein Asyl erhielten aber auch nicht zurückgeschickt werden können – 15 % weniger als Schweizer erhalten.
Der Vorschlag steht in der Kritik
Korrekterweise kritisieren sowohl die SP wie auch die Grünen die Sparmassnahme und kündigen an, das Referendum zu ergreifen. Die „massive“ Kürzung bei den Schwächsten sei „für die Betroffenen untragbar“. Massiv höher sei der administrative Aufwand und die Anreize würden falsch gesetzt: Mehr Leute würden versuchen möglichst lange in der Sozialhilfe zu bleiben, da sie bei einem erneuten Einstieg wieder weniger Geld erhielten.
Was von SKOS selber, aber auch von anderen, kritisiert wird, ist die Gefahr eines „race to the bottom“: Die Gefahr, dass sich, ähnlich wie bei den Steuern, ein Wettbewerb zwischen den Kantonen einstellt, wobei alle versuchen, möglichst schlechte Bedingungen zu bieten. Der Versuch aller Kantone, sich möglichst unbeliebt bei Sozialhilfebezügern zu machen und so weitere Einsparungen zu tätigen, hätte fatale Folgen für die Betroffenen. Die Caritas betont stark, dass die von der SKOS festgeschriebene Höhe des Sozialgeldes wissenschaftlicher Natur sei: Alle Untersuchungen zum Thema würden ergeben, dass die ursprüngliche Höhe das notwendige Minimum zum Überleben sei. Ebenso gäbe es auch keine stichhaltigen Argumente dafür, dass eine verringerte Geldmenge die Integration fördern würde. Die Caritas streicht heraus, dass den Bezügern zur Integration in den Arbeitsmarkt eben die notwendigen „persönlichen und beruflichen Voraussetzungen fehlen“. Fehlende wissenschaftliche Argumente bemängeln auch Renate Salzgeber, Professorin für Sozialpolitik oder Michael Nollert, Professor für Soziologie, Sozialpolitik und Sozialarbeit. Allerdings haben die Bürgerlichen immer klar gemacht, dass ihnen fehlende „sachliche“ Argumente ziemlich egal sind.
Immer neue Sparmassnahmen
Es ist kein Geheimnis, dass nächstes Jahr 22 Millionen Franken im Kanton Bern eingespart werden sollen. Die Bürgerlichen – allen voran die SVP – machen keinen Hehl daraus, dass sie noch viel weiter gehen wollen. Während die Linke davor warnt, dass, was Sparen anbelangt, Bern eine schweizweite Vorreiterrolle einnehmen soll, streben die Bürgerlichen genau das entschieden an. Auch wenn es manchmal so scheint, als würden die Bürgerlichen dies mit Freude tun, so folgen sie doch einer gewissen objektiv-sachlichen Logik. Vor dem Hintergrund der auf- und abebbenden Krise verfolgen die Bürgerlichen in ganz Europa eine Strategie, welche Sparmassnahmen und Steuersenkungen kombiniert. Mit Steuersenkungen für Reiche und Unternehmen werden Sachzwänge erschaffen, die die Sparmassnahmen rechtfertigen sollen. Diese Sparmassnahmen bieten wiederum Spielraum für die Steuersenkungen. Das Leid trägt die ganze Masse der Arbeitenden und der Jugend. Dass dieses Leid wiederum Gegenreaktionen provoziert ist auch der Grund, weshalb ebenjene Strategie von den Bürgerlichen nur ungern angewandt wird. Und doch sind sie dazu gezwungen, um die schwindenden Profite der Kapitalisten in der Krise zu retten.
Besonders perfid ist der Versuch, die ArbeiterInnen, die ebenfalls unter Angriffen auf die Arbeitsbedingungen leiden, gegen die öffentlichen Angestellten oder gegen Sozialhilfebezüger auszuspielen. Das äussert sich etwa darin, dass der Berner SVP-Grossrat Ueli Studer als Begründung für den neuen Angriff auf die Sozialhilfe aussagte: «Es gibt genügend Leute, die arbeiten den ganzen Tag lang, ohne zu jammern, und Ende Monat haben sie doch weniger in der Tasche als ein Sozialhilfeempfänger.» Abgesehen davon, dass Studer damit die äusserst prekäre Situation vieler Lohnabhängiger zugibt, müssen wir dem klar entgegenhalten, dass es dieselbe herrschende Klasse ist, die sowohl die Löhne drückt und die Arbeitszeiten erhöht, als auch die Sozialwerke angreift! Die Industriellen, die den Frankenschock als Vorwand für Angriffe benutzen und die SVP-ler, welche Sparprogramme durchdrücken, stehen auf der gleichen Seite. Es ist wichtig, dass wir auf der anderen Seite die Arbeitenden in der Industrie, die Angestellten des öffentlichen Dienstes, Schülerinnen und Schüler sowie die Sozialhilfeabhängigen ebenfalls vereinen.
Den Kampf aufnehmen
Im Zuge der dritten Unternehmenssteuerreform und den kommenden Debatten um die neuen Budgets und Sparmassnahmen müssen wir bereit sein. Das Referendum gegen die Massnahme in der Sozialhilfe wird wohl erst nach der Ratsdebatte im März 2017 auf die Tagesordnung kommen. Wenn es aber kommt, dürfen wir nicht darauf hoffen, die Bürgerlichen von irgendetwas überzeugen zu können. Sie vertreten ihre Klasse bedingungslos, und wir sollten das gleiche für die unsrige tun.
Der Kampf gegen das Referendum muss dringend eingebettet werden in einen allgemeinen Kampf gegen Sparmassnahmen in allen Bereichen. Wir stellen uns klar gegen jegliche Sparmassnahmen und Konterreformen. Wir setzten uns überall wo wir aktiv sind für einen breit angelegten Kampf gegen die Verschlechterungen unserer Lebensbedingungen ein. Um diese Kämpfe führen zu können müssen wir uns bereits heute organisieren!
Lukas Nyffeler
Vorstand JUSO Stadt Bern