Die Lüge des gemeinsamen Bootes

01.05.2020

Die Coronapandemie traf die Welt mit voller Wucht, doch nicht alle sind in derselben Situation. Nicht nur auf dem Mittelmeer, den griechischen Inseln oder der Balkanroute kommt es zu menschlichen Katastrophen, sondern auch in der Schweiz. Einmal mehr sind die Menschen am stärksten betroffen, welche ohnehin schon am wenigsten Haben und sich nicht verteidigen können.

Schon vor der Coronakrise war die Lage in dem Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln prekär. Das Lager Moria, welches ursprünglich für 3'000 Flüchtende gebaut wurde, ist heute das vorübergehende Zuhause von ca. 20'000 Menschen. Über tausend Menschen müssen sich einen Wasserzugang teilen, an hygienischen Vorrichtungen mangelt es, für eine Dusche beispielsweise, müssen die Menschen mehrere Stunden anstehen. Infrastruktur ist nur spärlich vorhanden und oftmals von den Bewohner*innen selber aufgebaut. Die Situation auf Lesbos verschärfte sich ab Anfangs März, immer wieder kam es zu Attacken von rechtsradikalen Gruppen gegenüber Helfer*innen, Ärzt*innen und Journalist*innen, nur selten wurden diese Angriffe durch die Polizei verfolgt. Infolge dessen zogen sich schon vor der Coronakrise viele Helfer*innen aus Sicherheitsgründen aus dem Lager Morias zurück. Auch entlang der Balkanroute in Ländern wie Bosnien und Herzegowina, Mazedonien oder Serbien zeigt sich das hässliche Gesicht der europäischen Migrationspolitik. Die Flüchtenden sind hier zwar mitten auf europäischen Boden, doch auch hier fehlet es an Sicherheit und Stabilität. Auch hier sind die Flüchtlingslager, in welchen Privatsphäre unmöglich sind, überfüllt, häufig müssen die Menschen Zuflucht in den Ruinen des Bosnienkriegs finden. Illegale Push-backs der Kroatischen Polizei nach Bosnien-Herzegowina sind an der Tagesordnung. Die Angst vor der staatlichen Repression ist allgegenwärtig, es fehlt an medizinischer Versorgung sowie an wetterangepasster Kleidung.
Das Coronavirus verschärft die Problematik
Zu diesem Leid stiess im Frühjahr 2020 noch ein weiterer Faktor hinzu: Das Coronavirus.
Die Empfehlung der WHO zur Bekämpfung des Coronavirus ist allgemeinbekannt: 2 Meter Abstand, sowie regelmässiges Händewaschen. Doch diese Empfehlung ist ein Hohn gegenüber den tausenden Flüchtenden in Europa, welche in engsten räumlichen Verhältnissen aufeinander leben müssen, ohne Zugang zu fliessend Wasser oder medizinischer Hilfe.
In den meisten Lager gibt es keine Möglichkeit sich von dem Virus zu schützen. Kranke können aufgrund der Platzverhältnisse nicht isoliert werden und auf die ca. 20000 Menschen im Lager Moria kommen 2 staatlich finanzierte Ärzt*innen und gerade mal 6 Intensivbetten. Wenn das Coronavirus hier ausbricht, kommt es zu einer totalen Katastrophe.
Der komplette Lockdown, welcher in vielen Ländern für den gesundheitlichen Schutz für die jeweilige Bevölkerung praktiziert wird, ist auf der Kehrseite eine Katastrophe für die nicht-privilegierte Schicht, diejenigen die auf der Flucht sind. In Bosnien werden Flüchtende, welche sonst in den vielen leerstehenden Häuser leben, systematisch in die ohnehin schon überfüllten Lager gebracht, was die Gefahr auf einen Ausbruch des Coronavirus in einem der Lager enorm vergrössert. Viele Geschäfte weigern sich den Flüchtenden Essen zu verkaufen und die staatlichen Hilfsorganisationen können sich nicht mehr um die Flüchtenden kümmern, Gewalt durch die Polizei gegenüber den Flüchtlingen ist alltäglich. In Bosnien wurde eiligst ein neues Flüchtlingslager aufgebaut, in welches man die Flüchtlinge ablieferte, nur um somit ein neuer Brandherd für das Coronavirus zu schaffen.
Die Solidarität endet an den Staatsgrenzen
Die betroffenen Länder sind in dieser Situation komplett auf sich selbst gestellt. Die Solidarität, welche von der EU so gefordert wurde, stoppt an den eigenen Grenzen. Über das Osterwochende starben 12 Menschen auf dem Mittelmeer, die Position der Schiffe auf dem Mittelmeer waren bekannt, die EU griff jedoch nicht ein, verwies auf den eigenen Notstand und lies willentlich 12 Menschen sterben. Dies ist kein Einzelfall, überall entlang der Balkanroute kommt es zu solchen Katastrophen doch kommt es zu keiner medialen Aufmerksamkeit, da die Coronakrise bessere Schlagzeilen liefert, als auf die Opfer der eigenen Politik aufmerksam zu machen.
Als es zu einer Petition in der Schweiz kam, welche 35’0000 Schweizer*innen unterschrieben, reagierte die Schweizer Regierung und nahm 22 unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge (UMA) auf, mit einem Verweis darauf, dass man nicht noch mehr aufnehmen wolle, schliesslich herrsche in Griechenland keine Krise. Statt mitzuhelfen eine humanitäre Katastrophe abzuwenden, entschloss sich die Schweiz diese zu ignorieren. Damit steht die Schweiz nicht allein, Deutschland nahm gerade einmal 47 UMAs auf. Dies reicht bei weitem nicht, noch immer leben tausende von Menschen unter prekären Bedingungen in den überfüllten EU-Lager. In Zeiten von Corona braucht es umso mehr eine einheitliche europäische Zusammenarbeit, welche dafür sorgt, dass diese Menschen angemessenen Schutz erhalten.
Möglichkeiten den Flüchtenden einen angemessenen Schutz zu bieten gäbe es genug. Flüchtende könnten in die zurzeit leerstehenden Hotels auf dem Festland Griechenlands gebracht werden, wo es gute hygienische Bedingungen gibt und wo die 2-Meter Abstand eingehalten werden können. Ebenfalls stehen die Westeuropäischen Länder in der Pflicht, Flüchtlinge aufzunehmen. Die EU scheitert einmal mehr, die Kosten für dieses Scheitern müssen mal wieder diejenigen tragen, die am wenigsten haben: die Tausenden von Flüchtenden, welche vor der Toren der EU unnötiges Leid ertragen müssen.
Die Situation der Geflüchtenden in der Schweiz
Während beim Militär von Beginn an klar war, dass die Soldat*innen in Coronazeiten genügend Sonnenlicht und saubere Luft zukommen sollte, so herrscht in Asylzentren eine andere Realität. So sind viele Asylzentren in Bunkern, die Menschen dort sind eingepfercht, ohne frische Luft, ohne Tageslicht.
Auch in der Schweiz werden Menschen in den Asylzentren unzureichend geschützt. So hatten in einem Basler Asylzentrum 3 Betreuer*innen das Virus, welche Kontakt hatten mit UMAs. Die Jugendlichen durften sich jedoch nicht in Quarantäne begeben, sondern mussten weiter zur Schule, mit der Gefahr, dass sie das Virus weitergeben. Im selbigen Zentrum leben Menschen welche Vorerkrankungen haben: Asthma, Diabetes und HIV Kranke. Betreuer*innen des Asylzentrums beklagten sich, dass der vom Bund geforderte Abstand von 2 Meter unmöglich sei, die Schlafzimmer müssen die Bewohner*innen sich mit 11 anderen Menschenteilen und beim Essen sei man «Schulter an Schulter».
In einem Rückführungszentrum wurde erst nach tagelangem zögern 3 Familien, welche am Coronavirus erkrankt sind in eine andere Einrichtung verlegt, damit die anderen Bewohner*innen geschützt sind.Im Asylzentrum Aldiswil, welches von der Profitorientierte Unternehmen ORS geführt wird, wurde ein Antrag auf eine Spitaleinweisung einer Rheumakranken Iranerin abgelehnt, welche positiv auf das Coronavirus getestet wurde t. Als eine Freiwilligenorganisation Seife, Desinfektionsmittel und Informationsmaterial in Asylzentren lieferte, wurde diese heftig von der ORS-Gruppe, welche dieses Asylzentrum betreibt, kritisiert. Dies obwohl die ORS selbst versagte, den Bewohner*innen, ebenjene Güter zur Verfügung zu stellen. Die ORS versagt nicht nur darin den Asylbewerber*innen einen anständigen Schutz vor Corona zu bieten, sie ziehen daraus noch Profite. Das Kapital ist wichtiger als der Mensch.
Während in den sozialen Medien Prominente davon sprechen, dass «alle im selben Boot sitzen», zeigt die Realität der Asylbewerber*innen in der Schweiz etwas anderes auf. Sans-Papier trifft es besonders hart, durch den Lockdown, kommt ihnen ihre Existenzgrundlage abhanden. Sie haben kein Anrecht auf Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe. Hinzu kommt, dass sie häufig keine Krankenkasse haben und in einer engen Wohnsituation leben und sich vor dem Staat verstecken müssen. Da erscheint es nur zynisch, wenn Millionär*innen, davon sprechen, dass wir alle in dergleichen Situation sind.
Auch in der Rechtsprechung sieht es in Zeiten von Corona düster aus. Die Justizministerin Keller-Sutter gab bekannt, dass Rekursverfahren von Asylsuchenden weiterlaufen sollten, notfalls ohne Rechtsvertretung. Die Rechtsvertreter*innen müssen also selbst entscheiden was ihnen wichtiger ist, die Gesundheit aller Beteiligten oder die Aufrechterhaltung des Rechtschutzes. Dass heisst, es kann zu Anhörungen ohne unabhängige Hilfsvertretung kommen. In Zeiten, in denen alles andere stillsteht, ist es ein Armutszeugnis der Schweiz, das ausgerechnet das Asylregime weitergeführt wird.
Europa und damit auch die Schweiz zeigen erneut wie unmenschlich ihre Asylpolitik ist. Es ist an der Zeit die Festung Europa einzureissen!
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